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„Ihre Sicht auf das Leben verändern“

Abschied und Neuanfang in der PerspektivFabrik

 

Der Geschäftsführer der PerspektivFabrik, Andreas Erhard (li.), war über 20 Jahre im CVJM-Ostwerk tätig. Matthias Schwolow ist mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Brandenburg gezogen, um die Pädagogische Leitung der PerspektivFabrik zu übernehmen.

 

Der eine geht, der andere kommt: Ende des Jahres verlässt Andreas Erhard (55) seinen Schreibtisch, an dem der Geschäftsführer der PerspektivFabrik seit 2013 gesessen hat. Anfang Oktober übernahm Matthias Schwolow (33) die pädagogische Leitung der Freizeit- und Bildungsstätte nahe Brandenburg an der Havel. Ein Gespräch über Abschiede, Wiedersehen und Neuanfänge.

 

Matthias, du bist neu im CVJM-Ostwerk. Was könnte in einer Gebrauchsanweisung zu deiner Person stehen?

Matthias: Ich bin eher ein ruhiger Typ, keine Rampensau, die im Vordergrund steht, sondern mehr derjenige, der im Hintergrund wirkt. Ich bin menschen-orientiert, versuche nah an ihnen dran zu sein. Ich bin relativ unkompliziert. Meine Gebrauchsanweisung ist, glaube ich, nicht so schwierig zu lesen (lacht).

 

Andi, Matthias fängt gerade an. Wann hast du das letzte Mal etwas zuerst getan?
Andi: Ich habe im vergangenen Jahr zum ersten Mal Corona-Zuschüsse beantragt. Und gerade habe ich zum ersten Mal eine 2G-Veranstaltung auf dem Gelände (Das Interview fand im Oktober statt, Anmerk. d. Red.). Es gibt immer Neues, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Wenn’s das nicht mehr gibt, wird’s langweilig im Leben.

 

Matthias, Du warst zuvor als Jugendreferent in einer Gemeinde tätig. Welche deiner Fähigkeiten werden dir hier hilfreich sein?

M: Das Menschennahe – das ist hier wichtig, dass du die Kinder und Jugendlichen im Blick hast. Ich glaube, ich bin auch ein verbindender Typ. Ich kann gut Menschen zusammenbringen. Das scheint mir hier hilfreich zu sein, weil es verschiedene Arbeitsbereiche gibt – das pädagogische Angebot, aber natürlich auch die Hauswirtschaft und die Verbindung der beiden Gesellschafter der PerspektivFabrik, das CVJM-Ostwerk und die Henry-Maske-Stiftung.

 

Siehst du das auch so, Andi?

A: Ja, ich glaub schon, dass es wichtig ist, dass man hier Menschen miteinander verbindet – auch die Mitarbeitenden. Wenn ich an unsere Freizeiten denke, da kommen Mitarbeitende aus ganz unterschiedlichen Himmelsrichtungen und mit völlig unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Außerdem hat die PerspektivFabrik zwei Gesellschafter, die sehr unterschiedlich sind. Da braucht es viel Verbindendes, Zuhörendes, gegenseitiges Wahrnehmen – und dann findet man auch gute Lösungen. Aber man braucht hier auch die Gabe des Führens. Weil: Nur wenn man weiß, wo man hinwill, kann man gehen.

 

Man muss in die Gedankenwelt derer reinkommen,
für die man das alles macht.

 

Du hast als Geschäftsführer auch Freizeiten begleitet und betreut. Warum?

A: Wenn man eine Freizeiteinrichtung führt, muss man in die Gedankenwelt derer reinkommen, für die man das alles macht. Nur dann weiß man, was Teilnehmende und Mitarbeitende sich wünschen. Und das kann man nicht vom Schreibtisch aus.

 

Verrätst du uns deine Lieblingsfreizeit?

A: Ich bin von Geburt an (überlegt) – vielleicht nicht ganz – aber seit Kindesbeinen CVJMer. Als Achtjähriger war ich auf meiner ersten CVJM-Freizeit. Die Freizeitarbeit hat mich also mein Leben lang begleitet. Es gibt eigentlich nicht die eine Lieblingsfreizeit, aber ich bin ein Freund von Themencamps. Wir hatten mal Lucky Luke, und ich durfte Joe Dalton spielen. Das war die Rolle, die mir auf den Leib geschneidert war. Asterix hatten wir auch mal – das war die prägendste Freizeit, weil wir damals den Norovirus im Camp hatten.

 

Bestimmt keine schöne Erfahrung. Was hat dich all die Jahre motiviert?

A: Ich habe für die Kinder und Jugendlichen, die herkommen, wirklich ein Herz, und ich möchte, dass sie Jesus Christus kennenlernen.

 

Matthias, du kennst die PerspektivFabrik bereits von früher. Im Rahmen deiner Ausbildung im Missio-Center hast du damals dein Praktikum hier absolviert. Hast du bereits einen Lieblingsplatz?

M: Der Strand ist ein Traum. Abends, wenn die Sonne über’m See untergeht, das ist ein schöner Anblick. Generell gibt es viele Orte, die Potenzial haben auf dem Gelände.

 

Du hast vorher in der nordrheinwestfälischen Kleinstadt Halver gelebt und gearbeitet. Wieso hast du dich für den Job hier entschieden?

M: Ich habe, wie bereits erwähnt, vor einigen Jahren hier auf dem Gelände gelebt und Freizeiten mitgestaltet. Das ist eine Zeit, die ich sehr positiv in Erinnerung habe. Wie hier ein Ort geschaffen wird, wo Kinder und Jugendliche hinkommen können und eine ganz besondere Zeit erleben. Das hat mich damals schon beeindruckt. Deshalb bin ich dann sofort hellhörig geworden, als ich die Stellenausschreibung gesehen habe.

 

Bringst du schon Ideen und Pläne mit?

M: Tatsächlich stelle ich fest, dass ich erst einmal ein Gefühl dafür bekommen muss, was hier alles läuft. Was sind die Wünsche der Kinder, der Träger, der Mitarbeitenden? Ich komme nicht und sage: In die Richtung geht’s jetzt! Ich möchte mir zuerst Zeit neh- men, mit Leuten sprechen und sie fragen: Was sind eure Gedanken? Ich möchte mich gemeinsam mit ihnen auf den Weg machen und schauen, wie wir das Potenzial, das in der PerspektivFabrik liegt, in verschiedene Richtungen weiterentwickeln.

 

Ich erinnere mich an ein kleines Kind von der Insel Rügen, das abends auf der Wiese saß und weinte, während die anderen sich ums Lagerfeuer versammelt hatten. Ich bin hingegangen. Es sagte mir, dass es seinen Papa gern wiedersehen möchte.

 

Andi, in deiner Zeit in der PerspektivFabrik hast du sehr viele Menschen kennengelernt. Erinnerst du dich an Begegnungen, die dich besonders berührt haben?

A: Ja, zum Beispiel die Zwillinge aus Radewege, die mit acht Jahren zum ersten Mal auf eine Freizeit gekommen sind. Heute sind sie als Mitarbeitende dabei. In all den Jahren sind sie gewachsen, größer und stärker geworden und haben sich echt entwickelt. Dass ich das miterleben durfte, ist ein Highlight für mich. Oder eine andere Geschichte: Ich erinnere mich an ein kleines Kind von der Insel Rügen, das abends auf der Wiese saß und weinte, während die anderen sich ums Lagerfeuer versammelt hatten. Ich bin hingegangen. Es sagte mir, dass es seinen Papa gern wiedersehen möchte. »Was ist denn mit deinem Papa?«, habe ich gefragt. Und dann erzählte es mir, dass sein Vater im Gefängnis sitzt und wie er es misshandelt hatte. Ich habe ihm gesagt, dass es einen Papa im Himmel gibt, der immer da ist – und der es hält und trägt.

 

Matthias, was denkst du, wenn du das hörst?
M: Ich höre raus, dass Andi ganz viel erlebt hat. Andi, du hast gerade von den Zwillingen erzählt. Einer von ihnen begleitet gerade die Herbstfreizeit. Die Asterix-Freizeit war eine seiner ersten Freizeiten, die er als Kind miterlebt hat. Und das war auch eine der Freizeiten, die ich damals während meines Praktikums betreut habe. In dieser Woche haben wir uns wieder getroffen. Er ist jetzt ein großer Mann und stemmt die Freizeit, kümmert sich um vieles.

 

Andi, du hast vorhin erzählt, dass du dich auch noch sehr gut an diese Frei- zeit erinnerst...
A: Ja, in dem Jahr war ich Automatix (lacht)...

 

Konntest du dich noch an Matthias erinnern, als du ihn wiedergesehen hast?
A: Ich habe alle »Missios« gekannt. Im Prinzip hatten wir damals das ganze Jahr über viel miteinander zu tun.

 

Ende Dezember wird dein letzter Tag in der PerspektivFabrik sein. Dann warst du 22 Jahre mit dem CVJM-Ost- werk verbunden, erst als Geschäftsführer des Landesverbandes, dann in der PerspektivFabrik. Wenn du auf das Gelände schaust, mit dem dich so vieles verbindet, Herzblut für die Arbeit und die Menschen, was wünschst du diesem Ort?

A: Natürlich eine finanziell auskömmliche Zukunft. Und dass die Kinder und Jugendliche mit ihren Herausforderungen in den Blick genommen werden. Dass man ihnen in dieser Woche versucht, einen anderen Blick auf ihr Leben zu geben. Viele von ihnen kommen aus Elternhäusern, in denen sie immer wieder die Plattitüden hören: »Du bist nichts! Du kannst nichts!« Wir können nicht ihr Leben verändern, aber wir können ihre Sicht auf das Leben verändern. In meinem Leben war es auch so. Nicht dass meine Eltern mich schlecht behandelt hätten. Aber dadurch, dass ich Menschen an meiner Seite hatte, die an mich geglaubt haben, bin ich zu dem geworden, der ich heute bin. Und dass ist das, was ich mir für diesen Ort wünsche: neue Perspektiven für junge Menschen.

 

www.perspektivfabrik.de.

 

Das Interview führte Sabrina Becker. Es erschien in der Ausgabe Nr. 1/22 im CVJM Magazin für das CVJM-Ostwerk.

 

10.01.2022, sb